Poemaroid – Sofortbildphotographie trifft assoziative Poesie
Ein Foto-Kunst-Literatur-Projekt als offener Dialog mit Polaroids von Wilfred H.G. Neuse sowie mit Poesie/Texten von Thomas Schubert.
Zahlreiche Kunst-Projekte unterschiedlicher Art hat Wilfred H.G. Neuse im Laufe seines fotografischen Lebens konzipiert und realisiert. Eine der Grundlagen und Interessen seines Schaffens bildet dabei die Polaroidphotographie, für die er ein besonderes Faible und Feingefühl entwickelt hat. Ein Stück weit bildet dieses kontinuierliche Schaffen auch sein photographisches Gedächtnis, seine künstlerische „Verinnerung“.
Die handwerkliche Auseinandersetzung des Düsseldorfer Fotokünstlers sowie sein kreativer Umgang mit diesem speziellen Medium führt immer wieder zu ausdrucksstarken Projekten und Kunstserien wie z. B. die „Painterroids“ oder „Feuchte Kammern“. Seit nunmehr über 30 Jahren experimentiert – oder besser – spielt Neuse mit den Möglichkeiten des Sofortbildes, ringt ihm mit thematischen Zuspitzungen oder technischen Einflussnahmen neue Sichtweisen ab.
Ob Neuse dem Sofortbildgedanken durch das Ablichten von laufenden TV-Bildern eine dokumentarische Ebene eröffnet oder das Material während oder nach der Entwicklung manuell oder mit technischen Hilfsmitteln bearbeitet, um in den fotochemischen Prozess einzugreifen, stets entsteht bei seinen künstlerischen Interventionen eine neue, verblüffende, mitunter irritierende Realität, die aus dem eigentlichen „Schnappschuss“ hervortritt und den Betrachter zum Dialog herausfordert.
Er mutet dem Polaroid mehr zu, als man gemeinhin erwarten würde. Er ritzt, sticht, quetscht die Photographien, setzt sie Hitze, elektromagnetischen Wellen und Pressluft aus, um den Zufall als spontanen kreativen Impuls an der Gestaltung seiner Kunst mitwirken zu lassen.
Der Fotokünstler nennt mittlerweile ein Archiv von hunderten/tausenden solcher Polaroids sein eigen. In seinem neuesten Crossover-Projekt „Poemaroid“, das als work in progress Konzept mit dem Autor Thomas Schubert angelegt ist, heben die beiden nach und nach die bestehenden Sofortbildschätze und beleben sie im Zusammenspiel von Fotokunst und Literatur neu.
Der Texter, Thomas Schubert, nähert sich den ausgesuchten bildlichen Vorlagen intuitiv, lässt einzelne Bilder oder Serien auf sich wirken und schreibt assoziativ lyrische Texte dazu, die entweder völlig frei oder durch Hintergrundinformationen von Neuse unterstützt, die Bilder poetisch kommentieren bzw. diesen neue inhaltliche Interpretationen und Ebenen hinzufügen.
„Poemaroid“ wächst auf diese Weise zu einem kreativen Foto-Kunst-Projekt, das seinen Reiz und seine Spannung durch den künstlerischen Dialog gewinnt. Statt ihre Arbeit mit inflationär verwendeten Modeworten wie „Storytelling“ oder „Narrativ“ zu titulieren, bezeichnen Neuse und Schubert ihr gemeinschaftliches Werk schlicht als inspirierende Begegnung von Photographie und Poesie, die „Bildsprachen“ mit „Wortbildern“ vereint und so für den Betrachter einen neuen Horizont aufzeigt, der durchaus auch weitergedacht werden kann. Tauchen Sie ein in die Tiefen der Bilder und Texte. Empfehlen Sie uns weiter und/oder schreiben Sie uns. Wir freuen uns über Ihre Anregungen und Intentionen. info@poemaroid.com
Poemaroid-Galerie
Sehvogel
Auf der Leinwand Polaroid
posieren stolz edelste Farben.
Wie ein Pfau sein Rad schlägt,
fächert sich das Foto auf,
als richte es seine Federn,
um jeden Blick zu irritieren.
Temperaschichten, pinselgleich,
flattern wild durcheinander.
Welch seltener Vogel von Bild
breitet da seine Flügel aus,
erhebt sich, schwebt, gleitet
davon ins geöffnete Auge
des Betrachters, tief hinein,
dorthin, wo das Sehen
sich aufs Seltsame stürzt.
Benjamin on my mind
I
Frag den Philosophen,
ob er jemals einsam war.
Er wird sagen:
Solange Gedanken
an meinem Tisch sitzen,
sich versammeln zum Austausch,
berauscht von der Möglichkeit,
das Unmögliche zu begreifen,
das Unfassbare
in Worte zu fassen,
könnte ich nicht mehr
Gemeinschaft empfinden
als in der stillen,
beredten Gesellschaft mit mir.
II
Was du auch erschaffst, Mensch,
nichts ist mehr solitär,
seit die Technik dein Werk wandelt
zum endlos kopierbaren
Bild, Wort, Ton.
Alle Kunst ist reproduzierbar,
nur eines aber nicht –
die Zeit, der Impuls,
in dem der Funke Inspiration
das Feuer deines Geistes entzündete,
das magische Momentum,
in dem der Schöpfer
dich sein ließ wie er,
mit der Ahnung
unerschöpflicher Gestaltungskraft.
Good Old Beach Times
Wellen wogender Wärme
auf der Haut und im Gemüt,
überschäumende Zufriedenheit
im ewigen Tidentakt verebbender Zeit.
Wunschlos rauschendes Augenblickglück,
auf die Netzhaut gezeichnet
wie ein Fußabdruck am Strand,
flüchtige Spur eines Tages aus Salz und Sand.
Sinn Bild
Wenn der Sehnerv
in Erregung gerät,
gereizt von sensitiven Zellen
die Rezeptoren auslöst,
schärft sich die Linse
für ein Momentum Ewigkeit –
visuelle Brechung
der Wirklichkeit, der Zeit.
Wellenlanger Impuls
von Licht als Empfindung,
die ihr Spektrum erweitert
zur okularen Signatur –
Abbild, das sich zwischen
Netzhaut und Hornhaut schiebt,
ins Gedächtnis prägt, nackt,
als Wasserzeichen, von Sinnen.
Ceci n’est pas une photo
Ist Realität am Ende
nur ein imaginierter Raum?
Eine Hand voll Zeit,
die sich vervielfältigt
ins Unendliche?
Welches Bild ist Abbildung
oder Einbildung
oder beides zugleich?
Was liegt hinter dem Blick
und vor dem Betrachten?
Hat je einer das Dazwischen
fotografiert, das sich
im Schacht entwickelt?
Ein Polaroid vom Polaroid
vom Polaroid vom …
träumt es in sich hinein
oder aus sich heraus?
Hat Wirklichkeit
eine Wahrscheinlichkeit?
Wer bannt oder verbannt sie?
Spiegel? Reflex?
Postkarte postscriptum
Eine Gondel gleitet gemächlich
in den geduldigen Sucher.
Schwanengleich schiebt sie sich
vor die fotogensten Kulissen der Welt
als schwebendes Stilleben.
Hinter dem Schnappschuss Idylle
lauert das nervöse Gafferklicken
eines hektischen Kamerachors,
der anschwillt wie der Wasserpegel
in der legendären Lagune,
in deren Herz die Pfähle gerammt sind,
auf denen die alte Stadt schwankt.
Das letzte Postkartenmotiv wird sein,
wie Venedig sich ins Meer stürzt,
versinkend in überflutenden Touristenströmen.
Dancing Chairs
Leere Stühle,
besessen,
beflügelt sogar
von der Sehnsucht
zu tanzen.
Im Rhythmus
von Wimpernschlägen
rotiert Raum
um die Beine,
Rückenlehnen
taumeln befreit,
hölzerne Starre
löst sich auf
in leichte Bewegung.
Ein Walzer von Licht,
ins Unendliche verzerrt.
Basar der Erinnerung
Die Augen schließen,
einen Schatten lang
den überfluteten Sehreiz
dem Gewimmel entziehen
in die Stille, Nähe des Selbst.
Mit allen Sinnen
hinter wehenden Lidtüchern
lautstark mit sich verhandeln
über den Marktwert
von Stimmen, Lauten, Klängen.
Körbeweise Düfte, Farben, Aromen –
den Atem der Gewürze
in der Luft wiegen,
Zimt, Kardamom, Minze
wie Sauerstoff inhalieren.
Edle Stoffe, Steine, Metalle
ertasten mit jeder Pore,
dass sich der Ferne Fülle
wie Rosenwasser
in und unter die Haut reibe.
Ein Hauch Sonne, Lehm,
Staub, Salz und das Geheimnis,
wie Fremde Heimat wird,
zum inneren Ort voller Gassen,
durch die Menschen tanzen.
Die Augen öffnen dann,
angereichert mit Lebendigkeit.
Jetzt aus dem Basar
an Eindrücken schöpfen,
aus Bewusstsein, brunnentief.
Fotografien als Quellen,
aus denen Erinnern entspringt –
Tropfen Sein,
der Vergänglichkeit höhlt,
den Durst stillt nach Sinn.
Der Fotograf lebt auf dem Planeten Auge
Mag die Erde
noch so rund sein,
der Schauende
polaroidisiert die Welt
zur Scheibe.
Die Wirklichkeit
ist flach,
zweidimensional,
begrenzt von weißen Rändern.
Flammender Appell
Esther Bejarano gewidmet
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
dann wird mir oft jetzt angst und bange,
dass sich neuer Flächenbrand entfacht
von Dummheit und Gewalt, schon lange
spuken ewig gestrige Geister wieder
durch das Land. Henker und Vernichter
brennen Flüchtlingsunterkünfte nieder.
Von Furcht erfüllt sind die Gesichter
Fremder, die Heimat suchen, Schutz.
Umzingelt nun von blindem Hass, Zorn,
der Menschen und Würde beschmutzt.
Beginnen die Grausamkeiten von vorn?
Ist all das Leid vergessen, das Sterben
dass Ausgegrenzten hier widerfuhr,
Legt das blutrünstige, qualvolle Erbe
nicht endlich eine Verantwortungsspur?
Jedem Unrecht und völkischem Wahn,
muss unser Volk sich entgegenstellen.
Zündet Wut die Häuser der Freiheit an,
müssen wir drohendes Dunkel erhellen
mit Fackeln voller Empathie und Mut,
bis überall Feuer der Liebe entbrennen
für die Verfolgten, dass sie in der Glut
zuletzt doch Wärme, Nähe erkennen.
Merke: Widerstehe in solchen Nächten
dem Auflodern von finstersten Mächten,
geh aufrecht voran, leuchte, sei bereit,
folge nur einer Fahne: Menschlichkeit.
Refugee TV
Wie viel verzweifelten Mut
muss man aufbringen,
um so viel quälende Angst
zu überwinden,
das eigene Leben
und das seiner Kinder
den weiten, tiefen Wassern
anzuvertrauen,
die keine Balken haben
außer den brüchigen
von Schlepperbooten.
Flucht vor dem sicheren Tod
in den wahrscheinlichen Tod,
weil die, die ein Zuhause haben,
die weder Krieg noch Verfolgung
noch Hunger fürchten müssen,
anstatt den Hoffenden
rettende Hände zu reichen,
lieber ungerührt von deren Schicksal,
vom Hafen ihrer Sofas aus
über den verengten Horizont
ihrer Smart TVs gaffen,
wie Menschen nach dem Verlust
von Heimat auf der Suche
nach Heimat ertrinken
im Meer der Unmenschlichkeit.
Mein zerrissenes Herz,
aufgewühlt wie die See,
starrt fassungslos erstarrt
vor Schuld und Scham
auf nasse Massengräber.
Stars and Stripes decodiert
Rassismus so weit das Auge reicht
im Land der unbegrenzten Ausgrenzungen,
wo heute Diskriminierung, Demütigung, Lügen herrschen.
Ein alter stolzer Stammeshäuptling aus Holz
hält standhaft Wache vor einem Souvenirshop
am Highway der zerbrochenen Träume.
Das Sternenbanner hängt zerschlissen,
leblos, sinnlos, würdelos am Marterpfahl –
Symbol des Untergangs ursprünglicher Kultur.
Die Sterne weiße Kreuze in Wahrheit,
die Streifen Blutspuren, die bezeugen,
worauf die Staaten tatsächlich gebaut sind.
Die indigenen Wurzeln der Weisheit ausgerissen
mit hasserfüllter, erbarmungsloser Waffengewalt,
die zuschlug im feigen Feuerwasserhinterhalt.
Das Andere, das Fremde immer schon bekämpft
von weißer Überheblichkeit und Ignoranz.
Wie viele Tote noch wollt ihr beweinen?
Stumme Sklavenschreie und klirrende Ketten
hallen von Baumwollfeldern, aus der Prärie
bis in die Gegenwart der schwarzen Ghettos,
der roten Reservate, bis an die Zäune Mexikos.
Chief Seattle, Pancho Villa, Martin Luther King,
erhebt euch aus euren Gräbern und führt das Volk.
Reißt den Misanthropen die Masken des Zorn herunter,
die weißen Kapuzen und Kutten entzündet zu Fackeln,
leuchtet euren Brüdern, Schwestern damit den Weg
aus dem Dunkel ans Licht der Freiheit und Gleichheit.
Vereinigt die Herzen zu Staaten, zu Ehren der Opfer,
verschwört euch zur Liebe, zu neuen Hüter des Geistes.
Schwört den ewigen Bund der Menschenrechte- und würde,
sprecht die wahrhaftigen Worte aus, so lange, bis jeder sie lebt:
RED LIVES MATTER – BLACK LIVES MATTER
LATINO LIVES MATTER – ALL LIVES MATTER
Jagdfieber
Retina Radar, leise lauernd –
Nervenblitze auf der Netzhaut
lesen Raum und Zeit wie Fährten,
pirschen sich ran an Ereignis.
Die Jäger Auge und Hand,
simultan gebannt in Synchronität,
das noch Unsichtbare im Fadenkreuz,
gespannt wie ein Pfeil im Bogen.
Sensibilisiert für spontane Reaktion,
den auslösenden Moment,
wenn der Impuls zuschnappt,
ein gezielter Schuss das Bild erlegt.
Lolaroid-Phantasie
Varieté der Televisionen –
heute erscheint euch
die verruchte Göttin Marlene,
die jedem Kerl den Kopf verdreht.
Selbst Professoren wickelt sie
mit ihrem Strumpfband ein,
das nach verbotener Lust duftet,
soweit die Nylonnaht reicht.
Gelb vor Neid
werden die anderen Weiber,
wenn die fesche Lola
ihre Blicke auswirft wie Netze.
Schon zappeln die Männer darin,
buhlen im Liebesrausch
um die seltene Gunst,
an ihrem Kussmund zu nippen.
Je später die Nacht,
desto größer das Frauenfieber,
das Lola entfacht,
wen es erwischt, ist verloren.
Im Wahn, der Leiden schafft,
bleibt als einzige Rettung,
ihr Gesicht sich einzuprägen
für eine kurze Ewigkeit.
Schließt man die Augen dann,
sind Schmerz und Sehnsucht eins,
brennt sich der blaue Engel
als Bild des Begehrens auf die Netzhaut.
Das Wunder von Köln
Tempel moderner Kunst,
grenzenlosen Denkens.
Vis-a-vis
Kathedrale alten Glaubens,
verengten Horizonts,
aufgetürmt im Zeitfenster
eines Augenblicks.
Eine göttliche Fügung bannt
das Trugbild des Moments,
das wie aus heiterem Himmel
Kultur und Kirche zu vereinen,
zu versöhnen scheint –
fotografische Segnung.
Als hielte die irdische Welt
der dreifaltigen Allmacht
den spirituellen Spiegel vor,
um des Menschen Schöpferkraft
endlich auch heilig zu sprechen
im Namen der Augen,
der Hände, des freien Geistes.
Mittag bricht wie Marmor
Der Mittag bricht wie Marmor,
ein Spalt Sommer öffnet sich,
dringt zersplittert durch Lamellen
einer Küchenjalousie.
Metallischer Moment,
der aufblitzt, Licht hobelt
wie Späne von Parmesan,
die auf einen Teller fallen,
in dampfenden Duft von
Rosmarin, Salbei, Oregano.
Für den Bruchteil eines Blicks
schmeckt der Sehende Zeit –
kaum ein Blinzeln lang.
Little Heroes
Plastiksoldaten
auf dem Schlachtfeld
der Bilder,
abgeschossen
mit einer
alten Kamera,
die keine Gnade kennt
im Krieg der Momente,
die überleben wollen.
Ein Stapel Polaroids
als Massengrab für
heimatlose Helden.
Morituri te salutant
Wir erzählen uns Geschichten,
die jüngeren in Farbe,
ältere in Schwarz-Weiß.
Wir erzählen von Menschen,
die wir kannten und liebten,
wir erzählen von Menschen,
die wir nur aus Erzählungen kennen,
von anderen geliebt.
Wir heben verborgene Leben
aus Kisten und Kartons,
machen uns durch Bilder
ein Bild von Personen,
Persönlichkeiten,
kurz dem Vergessen entrissen,
dem Schicksal, das sie mit uns teilen,
das wir weitervererben.
Jeder entsteht und verschwindet.
Im fotografischen Gedächtnis allein
Sepia-Spuren von Sein,
Gesichter wie Schatten der Erinnerung.
Fremde Verwandte
ein und derselben Geschichte sind wir
– Schnappschussexistenzen –
Verblichene
Aus heiterem Himmel (Ein Epitaph)
HEILIGE KRIEGE
Was in aller Welt
könnte unheiliger sein
als blindwütiges Töten,
als Kreuzzüge von Hass,
sei es im Namen von
Göttern oder Götzen?
Ob Glaube oder Geld,
wo Mächte Menschen
verführen, beherrschen,
Geist und Seele befallen
wie Gifte, wie Seuchen,
ist das Sterben nicht weit.
Die Kathedralen des Kapitals
wie der Religionen schwanken,
ihre Türme bersten, stürzen
im finalen Flammenmeer
von Fanatismus und Gier.
Alle Glut erkaltet zu Asche, zu Staub
beschriftet mit unzähligen Namen,
deren Stimmen nicht verstummen.
photos graphein
Gedanke eines Fotografen im Strandkorb
Aus dem Meer der Momente
mit dem Blick des Staunenden
das Wesentliche fischen,
erweiterten Horizont vielleicht
oder wolkenlose Bläue,
wellenkämmende Tiefe,
etwas wie Schöpfung.
Im Sand der Zeit,
der durchs unstete Auge rinnt,
im kleinsten Korn noch
Wahrheit und Wirklichkeit finden,
ein wenig Gehalt und Gewicht,
um Leben zu spüren, wie es ist,
schwer und leicht zugleich.
Ruhe finden im Takt der Gezeiten,
in der sanften Brise des Atems,
der an Land und zu See will,
Willkommen und Abschied
der wunderbaren befristeten Reise,
die zu kurz ist, sich ihres Wertes
würdig zu erweisen.
Das alles jetzt und hier
in diesem Augenblick
des Bewusstseins von Glück
festhalten, loslassen, verewigen –
mit Licht zeichnen.
φωτός γράφειν
Sundowner
Die Sonne eine Limettenscheibe
am Zuckerrand des Glases.
Jetzt etwas am Glück nippen,
nur keine Gier.
Ein Strohhalm tanzt
durch den Longdrink –
himmelblau –
gemischt aus Licht und Zeit.
Ein Kitzeln auf der Zunge,
als würde das Leben
gerade erst frisch gepresst,
mit braunem Tequila aufgefüllt.
Stundenwürfel klirren sanft,
schmelzen sorglos dahin,
lösen sich auf, wolkengleich.
Wie ein Wimpernschlag
geht der Tag zur Neige,
auch der Sommer nurmehr
ein lächelndes Blinzeln.
Im letzten Schluck letzte Süße,
fast herb. Es ist spät.
Ein Rest von Rausch.
Flammend rot dämmert das Dasein,
schmeckt bereits nach Herbst.
Kretas Kreuzwege
Komm, kretischer Gast,
die Insel lädt ein,
sie zu erkunden
und mit jedem Schritt
ein Stück weit dich selbst.
Öffne die Kapelle deines Herzens,
bis dein Inneres erklingt,
lange nachhallt.
Höre die Stimmen, Gebete,
du einsamer Wanderer,
all derer, die vor dir hier gingen,
wie sie deinen Namen flüstern
vom Wegesrand
als würden sie dich
kennen seit langem
als Bruder, als Freund.
Kreise um die eine Frage,
die du dir stets stellst
in der Stille des Ich,
die alle Suchenden vereint.
Trage das Kreuz, wie jeder,
dass du keine Antwort findest,
dass das Gehen allein dich
ihr näher bringt.
Der einzige Weg zum
Gipfel des Glaubens
führt durch die Schluchten
all deiner Zweifel.
Erkenne zuletzt,
Du bist Pilger wie wir alle,
auf dem steinigen Pfad
hinauf zum Selbst,
und zu jener Macht,
die dich hierher führte,
damit du schließlich befreit
alles hinter dir lässt.
Gedankentor
in memoriam Franz Bößer
Wie Sysyphos seinen Felsen
den Berg hinaufrollte einst,
hast du Stein um Stein geschichtet
zu Säulen im heiligen Land,
als wären zwei Völker
im Frieden der Landschaft vereint,
die so wild und dornenreich ist
wie der Weg zueinander.
Hierher kommt das Licht zum Gebet,
Tag für Tag unermüdlich bittend
um Versöhnung, um Hoffnung.
Jedes Mal, wenn die Sonne vom Meer
sich zwischen die Steinstelen stellt,
gehen meine Gedanken an dich
durch das Tor, den Schatten nach,
die auch deine Schatten sind.
Der Wind ruft deinen Namen,
wirft ihn als sanftes Echo zurück
aus den Höhlen des Gebirges,
hallt weiter ins Dorf der Künstler,
unweit deines steinernen Werks,
das aufgetürmt Wache hält über
die Spuren deiner Hände, über
Zeit und Ort, die dich vermissen.
32° 42‘ N, 34° 59‘
עֵין הוֹד
Alles hier bezeugt dich,
spricht, sucht verzweifelt nach dir
und findet dich nicht.
GROEN – Assimilation
Ein großes grünes Gummikrokodil,
verlangt vom Leben gar nicht viel.
Einmal nur reisen ins ferne Holland,
auf dem Rücken liegen, entspannt
sich recken und lang ausstrecken
in grüne Gräser, Büsche, Hecken.
Was soll ich am Ganges oder am Nil?
fragt sich das große Gummikrokodil.
Holland ist – wie ich – so schön „groen“,
da bin ich sofort als integriert angesehn.
Melting Hands
Hände, ringend
mit Chemie und Magnetron,
erhitzt zum Bild,
dessen Haut bricht, Blasen wirft
im Wellenspiel der Ionen.
In Risse zerfaserte
Lebenslinien,
erstarrt zum Fotorhizom,
verwurzelt im Blick.
Hände, ringend
um Bedeutung und Dauer,
im Unsichtbaren
zum Gebet gefaltet –
elektromagnetische Ikonen.
American Nightmare
– in memoriam Ira Hayes –
Drei Mal
verlor Ira Hayes
sein Leben.
Das erste Mal
bereits bei der Geburt,
als ihm das Sterben als Erbe
in die Wiege gelegt wurde.
Als Angehöriger
eines Pima Indianerstamms
seiner Kultur beraubt,
die in Reservaten delierierte,
blieb ihm nur eins:
in den Krieg zu ziehen.
In der Schlacht auf Iwojima
hisste er als Soldat
mit fünf Kameraden
auf einem Berg der Insel
die amerikanische Flagge
im trügerischen Gefühl des Sieges.
Drei seiner Kameraden
überlebten die Kämpfe nicht
und in seinen Gedanken trug
Ira Hayes sich selbst mit zu Grabe.
Gefeierter Kriegsheld,
für den es nichts zu feiern gab.
Ein gesichtsloses Fotomotiv
für das nationale Gedächtnis,
versteinert zum Denkmal,
mit Orden behängt.
Verstörender Ruhm,
zerstörender Rum
mit 32 schlie§lich erlag
Ira Hayes dem Feuerwasser.
And the star-spangled banner in triumph shall wave
O’er the land of the free and the home of the brave!
Women under pressure
Polaroidmaskerade.
Verwischte Gesichter,
als wären sie
Geister ihrer selbst.
Frauen, fragile Wesen,
flüchtig skizzierte
Leinwandleben – Scheinsein,
ins Unnahbare porträtiert,
auf der ständigen Suche
nach Selbstbildern.
Wahrnehmung
des ewig Weiblichen
als verzerrte Vielschichtigkeit,
die dem Druck des Schönseins
nicht standhält, sich auflöst
endlich in befreiende Luft.
Die Macht des Schicksals
We’re just two lost souls,
Swimming in a fish bowl
Year after Year
Pink Floyd
Alter Freund,
wie sehr ich Dich vermisse.
Wie oft haben wir hier am Fluss
zusammen „Wish You Were Here“ gehört,
berauscht von Bier und Melancholie,
Tränen der Rührung in den Augen,
weil dein Herz und mein Herz
den selben Schmerz teilten
in jedem Ton, jedem Wort.
Ja, genau so haben wir uns gefühlt,
zwei Jungs, auf ewig verbunden
durch die Macht des Schicksals,
kleine Fische, junge verlorene Seelen,
die durchs Leben schwimmen,
untrennbar, Brüder im Geiste.
Dass die Welt
ein hauchdünnes Wasserglas ist,
so zerbrechlich wie die Erde,
dass jede Wirklichkeit letztlich
nur verzerrte Wahrnehmung ist,
dass alle Wesen sich im Kreis drehen,
so sehr sie auch nach vorne streben,
weil das unsere Bestimmung ist,
darin waren wir uns einig.
Aber wie Sokrates wussten wir,
dass wir nicht wissen,
dass es gilt,
das zu begreifen,
am ewigen Zweifeln
nicht zu verzweifeln
und das es leichter ist,
das gemeinsam zu ertragen.
Jetzt sitze ich wieder,
wie jedes Jahr an deinem Todestag,
allein und verloren am Ufer des Rheins,
schwimme in Gedanken mit dir
durch den endlichen Kreis des Lebens,
singe traurig das Lied,
das uns vereint für immer
und wünschte nur eins,
du wärst hier bei mir.
Kakteensehen
Polaroidpanorama –
Hitzehalluzination
Sonne schmilzt Sinne
Blicke werfen Blasen
auf der Bildhaut
Stechender Schmerz
vom Kakteensehen
Augen voller Stacheln –
Foto Morgana
Schatten? Dasein?
Was ist das Wesen der Schatten?
Welchen Grund haben sie,
Menschen und Dingen zu folgen
statt eigenen Spuren?
Was, wenn sie sich plötzlich entscheiden,
ihr Schattendasein zu beenden,
ein selbstbestimmtes Leben zu führen,
unabhängig von Sonne, Körpern, Winkeln.
Stell dir vor,
Silhouetten und Schemen finden Gefallen daran,
den Gestalten, die sie gestalten, fremd zu gehen,
Wege zu suchen, auf denen sie zu sich,
zur Freiheit finden.
Kannst du sie sehen, die Figuren,
wie sie stolz erhoben sich lösen
von geliehener Existenz,
wie sie aufrechten Gangs
ins Dasein schreiten,
also ins Fortsein,
ins Gegenlicht verschwinden,
auf und davon für immer.
Wohin aber treten dann wir Verlassenen,
in welches Dunkel?
Was wird unser Motiv sein schließlich,
über die inneren Schatten zu springen:
Erleuchtung?
Liebesphantasie einer weiblichen Totenmaske auf einem Flohmarkt in Haifa
– an die Totenmaske Heinrich Heines gerichtet
Heinrich, lieber Heinrich,
ich kannte dich nur
in meinen Gedanken
und fühlte mich doch dir nah
wie niemandem sonst.
Deine zärtlichsten Worte liebkosten mich oft
als wäre es dein Mund,
als läge meine Haut
in der Obhut deiner Hände.
Selbst im Tode noch
ist mir dein Gesicht so lieb,
aus dessen Zügen
etwas zu mir spricht,
das nach Herkunft klingt
und Heimat im Herzen.
Heinrich, ach Heinrich,
erträume ich mir
das alles auch nur
hier auf einem Markstand
in Haifa, mit Blick
auf das Cafe,
das deinen Namen trägt,
etwas tief in mir glaubt,
nein weiß, dass auch du
mir verbunden bist
auf immer und ewig.
Falls du mir schreiben willst
aus dem Jenseits, Geliebter,
schick mir verschlüsselte Verse,
ich werde sie deuten,
wenn du sie sämtlich reimst
auf meinen Namen.
In Liebe
Amalie
Liebesphantasie des sterbenden Heinrich Heine
– an eine unbekannte weibliche Maske auf einem Flohmarkt in Haifa gerichtet
Ach Amalie,
in meiner Matratzengruft,
liegt sich die Sehnsucht
nach dir wund,
in diesen Fiebernächten
finde ich im Wahn
trotz aller Wirrnis
deinen süßen Mund,
dass er mir Heilung bringe
an Leib und Geist,
dass er mir Salbung spende, Trost.
Ach Amalie, küss mich gesund!
In stiller Bewunderung
Harry
Looking for paradise
Der Mensch ohne Lust?
Begierdenlos? Undenkbar!
Unser Schicksal
ist die Leidenschaft.
Seit Adam und Eva
führt der Liebenden Wahl
stets zur Verführung,
ins schönste Verderben.
Eines nur lehrt das Leben,
das einzige Paradies
ist diese Zeit auf Erden,
die uns geliehen wurde.
Lasst der Versuchung Liebe
niemals uns widerstehen,
nur diese Macht allein
ist all unser Versagen wert.
Möge in jedem Dasein
stets sehnende Sucht sein
nach Körper, Seele, Geist,
vereint in göttlicher Segnung.
In schonungsloser Nacktheit
allein sind wir geborgen,
Hand in Hand, Haut an Haut
und Herz für Herz versprochen.
Verlangen nach dem Du
ist stets der Weg, das Ziel,
nach dem wir streben.
Beten wir für Schlangen, Äpfel.
Red woman walking / Dame in Rot
Ins Sichtfeld gleitet
eine geheimnisvolle,
rot gewandete Frau,
flüchtiger Farbfleck.
Lichtbeschirmte Gestalt
im Dunkel der Stadt,
als liefe eine Diva über Eis
in einer Winternacht.
Ist es Mary Poppins,
vom Himmel gestiegen,
um Kinderaugen erneut
das Staunen zu lehren?
Ist es der Geist
von Jackie Kennedy,
die auf Dallas Straßen
nach ewigem Frieden sucht?
Oder ist es eine schöne Fremde,
eilig unterwegs
zu einem Rendezvous,
dem ersten Kuss seit langer Zeit?
Sie, die ewig Suchende, Sehnende,
die noch nicht weiß,
wohin die Liebe führt,
ins Glück oder Unglück?
Griechische Äpfel – Stillleben –
Beiße lustvoll
in den Moment,
der sich dir offenbart!
Lass dich verführen
von der seltenen Süße
griechischer Äpfel!
Widerstehe nicht
den feinen Aromen,
die deinen Gaumen begehren!
Gib dich hin
an die Magie der Sinne,
schmecke ihre Sinnlichkeit!
Koste vom Glück,
das Dir Genuss bereitet,
lass dir das Leben still munden!
Schande – wider die Schweinepriester
Der Himmel über Köln
ist voll tosendem Zorn,
des Domes Türme
beugen sich in Scham.
Was ist das für ein Hirte,
der befleckte Schafe
statt sie zu schützen
achtlos verrät, verhöhnt?
Gott, deine Kinder weinen
ob deiner Priester Liebe.
Wie fatal ihr Missbrauch
dieses großen, edlen Worts.
Von allen Sündenfällen,
die du je verachtet,
ist dieser hier der schändlichste,
erbarme dich der Opfer.
Sprich dein Urteil jetzt,
Schuld kann nicht warten,
richte, ächte der Täter Betrug,
leg deine Kirche in Schutt, in Asche.
Body Dance – Bewegende Fragen
– in memoriam Pina Bausch –
Tänzerin,
Tänzer,
konzentriere dich nicht darauf,
wie du dich bewegst.
Zentriere dich auf die Fragen,
die dich in Bewegung bringen.
Wirst du bei Vollmond
enthusiastisch ins kalte Wasser springen?
Kannst du so würdevoll wie beschwingt
über ein Meer aus Nelken schreiten?
Bist du bereit zum intimen Walzer
mit verlassenen Cafehausstühlen?
Gehst du auf dem Kontakthof
furchtlos auf eines anderen Einsamkeit zu?
Erspürst du, was Rauch und Asche wiegen,
wenn zwei Zigaretten im Dunkel glimmen?
Gelingt es dir, in fremden Schuhen
Blues in bambusleichte Schritte zu wandeln?
Willst du ein Bandoneon so innig umarmen,
bis dein ureigener Ton aus ihm erklingt?
Dann bist du jetzt bereit,
barfuß deine Mitte zu ertasten.
Tanz,
was dich bewegt!
Das Wasser sucht sich seinen eigenen Weg
Wie Wasser sein – klar und rein,
wendig, weich und wild zugleich,
leise rieseln, langsam rinnen,
geduldig seinen Lauf beginnen,
über Kiesel gleiten, Steine schleifen,
Wiesen, Gräser, Moose streifen,
in Seen treiben, von Felsen fallen,
freudvoll überschäumen, wallen,
in strömendem Gefühl ergießen,
frei wie die Gedanken fließen,
ausbreiten, weiten, mäandern,
uferlos neugierig weiterwandern,
von sanft tropfenden Quellen
hin zum Rausch tosender Wellen,
alle Widerstände überwinden,
stets die eigenen Wege finden
bis zu seinen tiefsten Gründen
-im Wesentlichen münden.
Odyssey of the goddess
Titaninnen, Gigantinnen,
Gespielinnen der Götter,
voll schöpferischer Kraft,
neue Götter zu gebären –
die allmächtigen Kinder
Himmel, Erde, Feuer, Meere,
Muttermale allen Lebens
und Menetekel zugleich.
Wer sich erheben will
über die Gewalt der Natur,
deren Tempel und Throne
stürzen ein, zerbersten.
Alle Reiche scheitern,
die sich überhöhen,
gehen unter irgendwann,
zerfallen zu Ruinen zuletzt.
Was von Mythen bleibt?
Die Ordnung des Kosmos
zurück ins Chaos versetzt,
den Ursprung der Welt.
Werden, Sein und Vergehen,
in ewigem Zyklus vereint –
Schicksals schwerer Staub
auf Herkunft, Zukunft geschichtet.
Reinkarnation (dem Dalai Lama gewidmet)
Im Wandel der Welt schwindet,
was die Seele begehrt,
das Leben nährt
und Frieden lehrt:
Die Reinheit des Geistes
Die Weisheit des Wortes
Die Wahrhaftigkeit der Liebe
Die Erhabenheit der Stille
Hoch oben in Tibet
findet sich von Zeit zu Zeit ein Kind,
das Mensch und Mönch ist zugleich,
dessen innere Einkehr
äußere Wirkung entfaltet,
wie der Flügelschlag
eines Schmetterlings,
der Berge versetzt.
Alles Wesentliche
mag verborgen scheinen,
aber es wird wieder und wieder
und wieder geboren.
Freiheit – ein Mahnmal
Nichts ist so stark
wie die Sehnsucht nach Freiheit,
die Mauern überwinden,
Staatsgewalt gewaltfrei bezwingen kann.
Jedoch bedenkt,
was uns tatsächlich beschränkt:
Freiheit ist immer die Freiheit
des Andersdenkenden.
An dieser unsichtbaren Grenze
scheitern und scheitern wir stets,
solange wir zwar die Seiten wechseln,
aber nicht auch die Perspektive.
Frei sein allein kann nur der Mensch,
der über sich selbst hinaus
zu denken vermag und bereit ist,
Mauern im Kopf einzureißen.
Ein Lebenslicht erlischt – Blues für George (in memoriam George Floyd)
Unrecht und Unordnung herrschen
seit Jahrhunderten schon in jenem Land
dessen Möglichkeiten Farbige zu diskriminieren
zu degradieren zu Menschen zweiter Klasse unbegrenzt scheinen
In a racist society it is not enough
to be non-racist. We must be anti-racist.*
Begrenzt hingegen der Horizont der Weißen
der nicht über Ausgrenzung Hass und Intoleranz hinausreicht
gefangen in Sümpfen von Vorurteilen
versklavt vom Irrglauben eine Hautfarbe sei besser als eine andere
I am not your negro**
In welch schlechter geistiger und moralischer Verfassung
muss eine vermeintlich zivilisierte Gesellschaft sein
die den Geist ihrer Verfassung derart mit Füßen tritt
deren Gesetze nicht gehütet sondern missbraucht werden
vor allem von jenen die sie schützen sollen
Black Lives Matter***
Endlos lange neun Minuten und 29 Sekunden
sieht die Welt tatenlos zu wie ein Bürger
in seinem eigenen Land unterdrückt wird
wie einem Mann die Luft zum Atmen genommen wird
wie eines Menschen Lebenslicht erlischt
I see America through the eyes of the victim****
Kann es ein grausameres Bild geben für die Tatsache
dass Menschlichkeit und Empathie am Boden zerstört sind
dass Schwarzen nicht nur in diesem Moment
sondern Tag für Tag für Tag die Angst im Nacken sitzt
I have a dream*
Möge der Traum von Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit
möge aller Menschen Recht sich endlich für alle erfüllen
All women and men are created equal
Quotations
*Angela Davis
**James Baldwin
***Transnational US-movement of People of Color
****Malcolm X
*****Martin Luther King Jr.
******United States Declaration of Independence
Seestück II.
Mythologischer Abgesang
Bewölkte Blicke im Azurrausch,
geflutet von ikarischer Weite,
geerdet von ägäischer Tiefe,
umweht von äolischem Hauch.
Eine gelangweilte Sonne
lauert in den weißen Bergen,
bereit, Wachs zwischen
Flügeln zu schmelzen.
Aber von hier erhebt sich
niemandes Übermut
in die Höhen des Olymp.
Gestürzt, gestrandet
vor Dekaden schon
die griechischen Götter –
Sandkörner der Geschichte
im spöttischen Spiel der Gischt.
Kämpferherz, letzter Tanz
(Muhammad Ali gewidmet)
Held meiner Kindheit –
du schwarzer Schmetterling,
der wie eine Wespe sticht.
Unter allen Boxern
bist du der einzige Fausttänzer,
der den Ring zur Bühne macht.
Im Scheinwerferlicht
schwebst du einer Feder gleich,
elegant zum Muskel gespannt
von Sieg zu Sieg.
Bis ein unsichtbarer Gegner zuschlägt,
dich für immer taumeln lässt.
Wie aufrecht aber
stellst du dich dem härtesten,
dem letzten, aussichtslosen Fight.
Ich sehe das Zucken
deines einst unbezwingbaren Körpers,
der niemanden trifft außer dich.
Mehr noch als
deine unschlagbaren Fäuste bewegt
die Kraft, der Mut in deinem Zittern mich.
Soul of Reggae
Jamaica
hisst die Flagge Hanf
über der Inselhängematte.
Ein träger Sommer
atmet das süße Gras Zeit ein,
das langsam verglimmt.
E-Gitarren treffen sich
mit Snare-Drums, Hi-Hats
zum 4/4-Takt-Träumen
und jammen um die Wette,
ob man mehr an Jah glaubt
oder an die Götter des Reggae.
Bekiffte Riffs zwinkern
der Joint rauchenden Sonne zu,
die singend, tanzend untergeht.
Nichts wirft mehr Schatten
außer der Leichtigkeit
von Körpern im Rhythmus.
True Faces
Künstler, treuer Kamerakamerad,
schenke den Unverblendeten allen,
die unbeirrt ans Gute, Schöne glauben,
einen magischen Moment Gefallen.
Lass die Übermacht hässlicher Fratzen
einen Schnappschuss lang verschwinden.
Überstrahle den Hass der Verschwörer,
die sich in Dummheit, Zorn verbünden.
Zeige uns edle, freundliche Gesichter,
von Menschlichkeit erleuchtet ganz,
die die Finsternis erhellen als Lichter-
Wesen, erfüllt von ihrer Herzen Glanz.
Indianischer Freudentanz
Rauch. Zeichen von fern,
längst vergessene Rituale,
als würde vertriebene Zeit
ihre Herkunft beschwören,
eine Botschaft von Zukunft
ausatmen in die Lüfte.
Adler kreisen weit oben,
entziffern die Nachricht,
antworten mit Federn,
die herabschweben,
um das schwarze Haar
der Jüngsten zu schmücken.
An Lagerfeuern erneuern
die Hüter der Erde Schwüre,
verhandeln mit dem Wind
über den Weg der Kinder,
dass sie im Einklang
mit den Elementen leben.
In heiligen Flüssen
bekennt der Nachwuchs,
Natur zu lieben, zu achten,
jedes Tier, jede Pflanze,
jeden ewigen Geist,
der ihrem Wesen entspringt.
Sonne, Mond und Sterne
bezeugen die Gründung
des neuen Stammes Mensch.
Erstrahlen soll die Welt
unter seinem Totem Respekt,
besiegelt von freudigem Tanz.
Kriegserklärung
(allen Kriegsopfern der Menschheitsgeschichte gewidmet)
Ihr Diktatoren, Barbaren,
Tyrannen, Despoten,
ihr paranoiden,
egomanisch verblendeten Idioten
mit euren Allmachtsfantasien,
Freiheitsphobien,
Weltherrschaftsutopien,
die von Blutrausch zu Blutrausch ziehen,
von blinder Wut, von blankem Hass,
von wildem Wahn getrieben,
ehrlos, schamlos, ruchlos,
gefühlskalt, gnadenlos, unfähig zu lieben.
So oft ihr ihn bezwingen wollt
in euren schändlichen Kriegen
ihr werdet den freien Geist,
den unbändigen Willen,
die Gemeinschaft der Individuen
niemals kontrollieren, besiegen.
Fürchtet euch weiter! Habt acht
vor unserer stillen Übermacht!
Die entscheidende Schlacht,
die werdet ihr verlieren.
Im finalen Gefecht
werden Menschlichkeit und Menschenrecht
über euch Unmenschen triumphieren.
Tsunami (eine Prophezeiung)
Noch lächeln die Surfer
auf den Kämmen der Wellen,
noch tanzen sie leicht und unbeschwert
im lebendigen Spiel mit der Natur.
Doch deren Kräfte schwinden,
haben keine andere Wahl,
als sich zu erneuern.
Pflanzen, Tiere, Erde und Luft
flehen die Macht der Meere an,
den Menschen zu bezwingen,
der achtlos die Felder
seiner egomanen Gier bestellt,
ihre Lebensräume vernichtet,
ihre Schätze plündert.
Die müllverseuchten Wasser
schäumen bereits vor Wut,
verbünden sich
mit dem ausgebeuteten Land,
das bebt vor Zorn,
mit dem vergifteten Himmel,
der seine dunkelsten Wolken
zur finalen Finsternis versammelt.
Die Pegel steigen, schwellen an,
Stürme peitschen die Ozeane auf
zu der einen übermächtigen Welle,
die erst Inseln ertränkt, dann Städte flutet,
schließlich die Welt überspült,
um die alte Ordnung,
die ursprüngliche Schönheit
des blauen Planeten wiederherzustellen.
Die letzte flüchtige Woge
menschlicher Vernunft und Demut,
die dich im kurzen Moment
vor dem Tsunami erfasst,
lässt dich erkennen,
dass es zu spät ist
für den Bau einer rettenden Arche,
dass du selbst dich zum Aussterben verdammt hast,
als du dich als Teil dieser Natur verleugnet hast,
aus der du einst hervorgingst,
dass du versäumt hast,
dich deiner Gattung, deiner Heimat
würdig zu erweisen,
dass du unfähig warst,
deiner Herkunft Zukunft zu schenken.
Tiefseemagie
Im tentakeltiefen Dunkel
Geheimbund des Wassers,
Schwärme bizarrer Existenzen,
zu ewiger Finsternis verdammt.
Aus lichtlosem Raum tauchen
verborgene Medusen, Archaeen,
Muscheln, Krebse, Fische –
intraterrestrische Wesen.
Magische Luminiszenz,
vom Erdkern durchleuchtet.
Glühender Ozean, Urzeitquelle
– maritimes Mysterium.
Mariengedenken
Ein Rosenkranz
aus unzähligen Schicksalsspuren
führt zu Dir, Maria,
unter deren Schutz und Schirm
wir uns stellen.
Wie viele Sorgen, Nöte, Klagen
hast Du still ertragen
am Wegesrand,
wie viele Gebete erhört?
Wie oft erloschen Kerzenlichter
unter deinen Tränen
über die Schmerzen der Welt?
Gegrüßet seist du
auserwählte Leidgeplagte,
die du uns Trost spendest
im Namen des einen Sohnes,
den du zur Welt gebracht hast,
einzig und allein, damit Hoffnung
noch in der dunkelsten Seeleleuchten,
lebendig werden kann.
Dank sei dir
und Gnade sei mit dir,
ewige Mutter aller Menschenkinder.
Genetischer Fußabdruck
Du glaubst, du gehst
deinen eigenen Weg,
Mensch?
Dein Dasein jedoch fußt
auf unsichtbaren Codes,
die dich bestimmen,
dein Wesen wandelt in
den Fußspuren der Natur,
aus der du stammst –
Zelle für Zelle
bezeugt deine Art.
Lies deine Herkunft
und Zukunft aus den Elementen.
Wohin Du auch trittst,
deine Schritte sind
vorgezeichnet.
Du folgst GENerationen
und sie folgen dir.
Götterdämmerung
Ein heiliger Stuhl
ist nicht genug
für die vielen Götter
in der Welt.
Es werden täglich mehr,
die um die Gunst
der Menschen streiten –
dei digitale.
Alles wird zur Religion
erhoben, gepriesen,
wenn es nur dazu taugt,
Ikonen anzubeten.
Doch die Throne wanken,
denn es dämmert längst.
Am Horizont ballt sich
der Zorn der einen Kraft,
der einzigen allmächtigen,
der gegenüber es uns
an Demut, Dankbarkeit,
Ehrfurcht mangelt. Natur.
Agavenverehrung I.
Anbetungswürdig
der Agaven Geduld.
In flirrender Hitze,
anhaltender Dürre
strecken sie ihre
dürstenden Blätter
dem seltenen Tropfen
entgegen, der sie labt.
Agavenverehrung II.
Jahrzehntelang meist
erwarten sie still
das große Wunder
der einmaligen Geburt,
wenn ihrem Schoß
die Blüte entwächst.
Seestück I.
Seesüchtig
Das Logbuch der Seesucht
aufgeschlagen,
maritimer Moment,
der die Koordinaten
beglückten Daseins
kretisch kartiert.
Die Seele schwimmt
weit hinaus aufs Meer,
als könne sie niemals
untergehen,
ein unsinkbares Boot,
gefüllt mit Jetzt.
Am Horizont
verglüht das Licht.
Was für ein Brand,
der um den letzten Funken
Hier kämpft,
ehe Sternsegel gleiten
durch die Finsternis.
Zeit, den Anker Atem
auszuwerfen,
den Gezeiten
furchtlos ausgeliefert.
Wie hoch die Wellen
auch steigen, rollen,
im Innern die Insel trägt.
Kauf Mann!
Kauf Mann, kauf und verkauf Mann,
was man für Geld nur haben kann!
Mann und Frau, macht mit, macht mit,
lauft brav im Hamsterrad Gier und Profit!
Wirtschaft und Renditen müssen laufen,
darum ständig kaufen kaufen kaufen!
Wachstum muss her um jeden Preis!
Solange sich die Erde dreht im Kreis,
macht Schätze und Ressourcen leer,
kauft mehr und mehr und immer mehr!
Kauf Mann, kauf Frau, kauf du auch Kind
bis alle anderen Werte völlig wertlos sind!
Ist schließlich alles ausverkauft: viel Glück!
Die Natur holt sich, was ihr gehört, zurück.
Dead Man Walking
Dass ich schuldlos bin,
wen interessiert das schon,
wen interessiert das noch
nach all der vergitterten Zeit?
Alle Indizien und das Urteil
beweisen mir das Gegenteil.
Auch wenn mein Gott
mich verlassen hat,
ich bete zu ihm jeden Tag,
hier in meiner Kapelle Zelle.
Morgens frage ich ihn,
ob mein Schicksal
nicht seine Schuld sei.
Abends bitte ich ihn
um Vergebung für
meine Zweifel,
die längst
über jede Verzweiflung
erhaben sind.
Essen, trinken, verdauen, schlafen,
zwischendurch gehen
von Wand zu Wand zu Wand.
Mein Dasein ist eine
nummerierte Endlosschleife von
sinnlosen, gedankenlosen Schritten
zwischen Bett und Klo
und dem stählernen Netz,
dessen wertloser Fang ich bin.
Meine Existenz ein Vakuum
im Wartezimmer des Todes,
von dem ich nicht weiß,
wann er verordnet wird.
Die Aussicht auf das Sterben
beängstigst mich nicht,
ich fürchte nur das Ritual
dessen, was sie Recht nennen.
Was mir bleibt bis dahin,
ist die Hoffnung,
dass Gottes Gnade
mich früher erlöst
von der Leblosigkeit
als das Gift einer Rache,
der ich nicht
gerecht werden kann.
Laut Amnesty International waren weltweit Ende 2020 mindestens 28.567 Menschen zum Tode verurteilt.
Liebesbrief eines Gefolterten
Das Schlimmste ist nicht,
dass mein einst gestählter Körper
nur noch ein wehrlos
geprügeltes Stück Fleisch ist,
von Hämatomen übersät.
Das Schlimmste sind nicht
die Schläge und Tritte
Nacht für Nacht,
das Echo der Schmerzen
in der langen Stille danach.
Das Schlimmste ist nicht
die endlose Dunkelheit Tag für Tag,
aus der es unaufhörlich tropft in der Nähe
und doch unerreichbar,
was den Durst noch unerträglicher macht.
Das Schlimmste ist nicht,
dass sie meinen Geist und Willen brechen wollen
mit Schlaflosigkeit, mit Gebrüll,
mit schallenden Flüchen und hämischem Gelächter
aus gnadenlos sadistischen Fratzen.
Das Schlimmste ist nicht die Ohnmacht
gegen die physische und psychische Gewalt,
die mein Leben jetzt Stunde um Stunde diktiert,
die Ungewissheit, wann mich die nächste Flut
von Verachtung und Bestrafung überspült.
Die grösste meiner Qualen ist,
dass ich ständig an Dich denken,
Deine Augen, Deine Lippen,
Deine Hände, Deine Haut erinnern,
Deinen Duft inhalieren muss,
um den Schmerz Deiner Abwesenheit zu ertragen
in der überlebensgroßen Angst,
dir niemals wieder näher zu kommen als jetzt
In dieser mich zerreißenden Sehnsucht nach Dir.
Neuses Gravur
In die Polaroidkamera springen
wie in H.G. Wells Zeitmaschine,
auf der Suche nach der
gelebten, der geliebten Zeit.
Alle Momente und Motive
auf einmal vor Augen –
ein Kaleidoskop von Bildern,
in dem das Suchen endlich
Finden werden darf.
Eines unbekannten Tages
wirft der Schacht der Kamera
das Porträt eines Fremden aus,
das sich nach und nach entwickelt
zu abertausenden Porträts
des rastlosen Mannes,
mit drei Augen gesegnet,
zwei zum Sehen geboren,
eines zum Dokumentieren
all dessen, was so flüchtig ist.
Weiß gerahmtes Spiegelbild
aus verbundenen Zerrissenheiten,
den Abenteuern, den Reisen
in die Welt, durch den Kopf
und wieder zurück mit der Frage:
Wohin führt meine Spur?
Des Menschen Wesen gebannt,
in ewiger Jugend, ewigem Alter,
als fotogravierte Verinnerung.
Kurs
Im Ozean des Lebens
mit all seinen Stürmen und Flauten,
unter dem weiten Himmel
der Gedankensterne,
die das Sein mal neugierig, mutig
mal ängstlich, ziellos navigieren,
in den meerestiefen Strömungen
der Gefühle, wo Schwärme
bunt schillernder Fischen mal
Freiheit durchschwimmen,
mal in unsichtbaren Netzen zappeln,
ist stets Glaube mein Boot,
Hoffnung mein Ruder,
Liebe mein Anker,
mein Hafen das Wort.